30 Porträts: Lasern, Löten, Lernen in der offenen Werkstatt

Eine Werkstatt für Klein und Groß, mit modernen Maschinen, Workshops zum Selbermachen, Reparieren und Upcyceln. Das Beste: Sie steht allen offen und kann kostenfrei genutzt werden. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Nicht an der Technischen Hochschule Brandenburg.

Fotos: Oliver Karaschewski

In der Offenen Werkstatt der THB können nicht nur Studierende, sondern auch Menschen ohne Hochschulbezug die Werkzeuge, Maschinen und die Expertise des Werkstatt-Teams nutzen, um eigene Projekte zu realisieren, Prototypen herzustellen, Dinge zu reparieren oder einfach mal Werkstattluft zu schnuppern und sich neue Fertigkeiten anzueignen. Dabei entstand die Einrichtung quasi aus dem Nichts: ohne Business-Plan, ohne Budget – dafür mit vielen Ideen und viel Engagement. Die unkonventionelle Geschichte in sechs Schritten:

Schritt 1: Begeisterung und Vision

Seit 2017 existiert diese in Brandenburg an der Havel einmalige Werkstatt. Die Idee dazu reifte jedoch schon etwas länger. „Ich war 2016 gemeinsam mit Professor Martin Kraska auf der Maker Faire in Berlin“, erzählt Werkstattleiterin Lisa Jakobi. Diese Messe ist für Do-it-yourself-Projekte und den Ideenaustausch unter Erfinderinnen und Bastlern bekannt. „Da waren wir uns schnell einig, wie wichtig es ist, Technik erlebbar zu machen.“ Erst recht an einer Technischen Hochschule.

Als Lisa Jakobi im Zuge ihrer Masterarbeit festellte, was für tolle Maschinen die Hochschule längst besaß, wurde aus Gedankenspielen eine klare Idee: eine Werkstatt für alle, mit Angeboten für Alt und Jung, ein niedrigschwelliger und buchstäblich handfester Zugang zu traditionellen Fertigungsverfahren und High Tech.

Die Idee fand schnell die Unterstützung der Führungsetage – zunächst aber noch ohne große Finanzspritze. Daher mussten für die ersten Maschinen noch idealistische Unterstützer gefunden werden. Beim ersten Workshop mit Schülerinnen und Schülern aus Nauen wurden mechanische Gesetzmäßigkeiten praktisch erprobt, indem möglichst stabile Tische gebaut wurden. Materialien: Papier, Schere, Kleber.

Schritt 2: Einen Raum finden

Heute sieht Raum 010 aus, als wäre er nie etwas anderes als eine Werkstatt gewesen. 2017 war er noch ein mittelmäßiger Hörsaal. Das Werkstatt-Team bat die Fachbereichsverwaltung, den Raum ein Semester lang nicht einzuplanen. „Und in dieser Zeit haben wir ihn quasi mit der offenen Werkstatt besetzt.“ Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel.

Schritt 3: DIY und Improvisation statt viel Budget

Apropos Mittel: Die sind an Hochschulen ein rares Gut, deshalb verfügte die Offene Werkstatt in ihrem ersten Jahr über exakt: Null. Doch inspiriert vom Grundgedanken der Bastler und „Maker“ und in der sicheren Gewissheit, dass es zwar an Geldern, jedoch nicht an Material fehlt, haben Lisa Jakobi und ihr Team die Werkstatt mit dem ausgestattet, was da war – und was nicht passte, wurde passend gemacht.

So stammen viele der Tische und Schränke noch aus den Zeiten, als die Erstausstattung der damals jungen Hochschule aus der Justizvollzugsanstalt herübergeschafft worden war. Die ersten Werkbänke wurden aus alten Beständen der Zentralwerkstatt übernommen. „Auch die Bücherregale, Labortische und die ersten PCs waren locker zwölf Jahre alt“, sagt Lisa Jakobi.

So ist auch die Werkstatt selbst neben allen Neuanschaffungen ein Resultat von Re- und Upcycling. Aus der Transportkiste, die einst den Lasercutter enthielt, wurden im Handumdrehen die Türen für den Spint. Die alten Scheuerleisten werden nach und nach zu Standfüßen für LED-Leuchten gefräst. „Es freut uns auch aus ökologischen Gründen, wenn wir Menschen anspruchsvolle Reparaturen ermöglichen”, sagt Lisa Jakobi. „Seien es kaputte Griffe, gebrochene Keyboard-Tasten, ein verbrauchter Akku oder auch textile Reparaturen: die Offene Werkstatt bietet die notwendigen Ressourcen.“

Schritt 4: Workshops zum Selbermachen

Wie das geht, lernen die Teilnehmenden unter anderem in Workshops. Dabei fertigen Kinder und Jugendliche beispielsweise mit dem Lasercutter und an der Drechselbank eigene Stempel. „Da es Kinder motiviert, etwas selbst entworfen und geschaffen zu haben, achten wir auf das gestalterische Element” sagt Lisa Jakobi, die als Produktdesignerin hierfür die passende Qualifikation mitbringt.  Auch die Workshops selbst sollen bald für Externe verfügbar sein: sei es ausleihbar im „Klimakoffer“, oder als Download mit Beschaffungslisten und Bauanleitungen.

Schritt 5: Eine Community entsteht

Im Unterschied zu vielen Werkstätten an anderen Hochschulen, die nur von Studierenden eines Fachbereichs genutzt werden können, steht das Angebot der THB-Werkstatt allen offen. „Von Kindern im Vorschulalter bis zu Rentnern sind alle dabei“, berichtet Lisa Jakobi.  „Wir haben beispielsweise einen Stammgast, der in Brandenburg lebt, aber außerhalb als Tischler arbeitet. Wenn er in der Stadt ist, und für ein privates Projekt eine Säge benötigt oder etwas abschleifen möchte, kommt er eben zu uns.“

Mit „uns“ sind die Leiter Prof. Kraska und Frau Jakobi, die neue Mitarbeiterin Karolin Teichmann, zwei Ehrenamtliche und die fünf studentischen Hilfskräfte gemeint. Etwa Sebastian Schachel, der für die Werkstatt eine kleine CNC-Fräse zum Plotter umgebaut hat, mit dem man individuelle Motive auf kleine Plättchen malen kann.

Gerne lassen sich auch ehemalige Studierende blicken, wie beispielsweise Christopher Stengel. Er freut sich, dass noch heute der von ihm konstruierte 3D-Drucker mit Aluminium-Profil-Rahmen zu finden ist. Kopien davon werden jedes Jahr von Erstsemester-Studierenden im Rahmen ihres Einführungsmoduls gebaut.

Ganz nebenbei räumt auch der hohe Frauenanteil des Teams mit ein paar alten Vorurteilen auf. „Die Vorstellung vom Mädchen, das mit Werkzeug nicht umgehen kann, ist ziemlich verbreitet und sitzt sogar bei pädagogischen Fachkräften erstaunlich tief“, sagt Lisa Jakobi, die von entsprechenden Äußerungen und Situationen ein Lied singen kann. „Deshalb ist es aus gesellschaftlicher Perspektive durchaus sinnvoll, dass wir auch Streetworker, Lehrerinnen und Erzieher fortbilden.“

Statt mit dem erhobenen Zeigefinger gehen die Ingenieurin und ihr Team mit dem Lötkolben voran und zeigen, dass man mit zwei X-Chromosomen nicht nur ganz hervorragend Nähen oder Textildrucke anfertigen, sondern auch Löten, Sägen, Bohren, CAD-Modelle entwerfen und 3D-Drucker programmieren kann.

Schritt 6: Nie aufhören zu lernen

Die in Kassel geborene und in Maxdorf (Rheinland-Pfalz) aufgewachsene Werderanerin hatte schon von Kind auf viel Freude am Handwerk. Ein Opa war Dachdecker, der andere Tischler – und Lisa durfte mit anpacken. Dabei blieb ihre Lust, Neues zu entdecken, bis heute der rote Faden in ihrem Lebenslauf. Nach dem Studium des Produktdesigns an der Bauhaus-Universität in Weimar arbeitete sie anderthalb Jahre in der Hardware-Sparte von ABB, wo sie an der Konstruktion von Schaltanlagen und Druckentlastungskanälen mitwirkte. Ab 2009 studierte sie Maschinenbau an der THB, deren Mitarbeiterin sie 2015 wurde. „Trotzdem konnte ich bis zum Masterstudium nicht Löten“, erinnert sie sich. Mittlerweile gestaltet sie eigene Platinen.

Ihr Antrieb ist, ihre Freude am Entwickeln neuer Kompetenzen an andere weiterzugeben. Denn viele  tendieren dazu, neue Techniken gar nicht erst auszuprobieren, und scheuen dann davor zurück. Gerade bei Jüngeren geht dabei viel Potenzial verloren. „Das ist schade – wo es doch keine Schande ist, etwas noch nicht zu können.” So habe sie selbst immer noch keine Erfahrungen mit der CNC-Fräse. „Aber das ändert sich demnächst”, so Lisa Jakobi. „An meinem Geburtstag gönne ich mir dieses Jahr ein Privat-Coaching und lerne endlich das Fräsen.”

Die Offene Werkstatt der THB bietet für Kinder und Erwachsene kostenfreie Workshops für 3D-Druck, Löt-, Gravier- sowie Fräsarbeiten an und führt in den Umgang mit CAD-Programmen ein. An den offenen Nachmittagen dienstags und mittwochs von 14 bis 18 Uhr können Interessierte spontan ohne Anmeldung vorbeikommen und mit Hilfe der Mitarbeitenden vor Ort an ihren eigenen Projekten arbeiten.

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